HORTUS MUSICUS
Christa Mäurer
Waltraud Russegger
Michael Nowak
Günter Mattitsch
Dietmar Pickl
Programm
Cipriano de Rore Lamento d'Arianna
(1516-1565)
Gerhard Lampersberg but bliss
(1928-2002)
Thomas Tallis The Lamentation of Jeremiah
(1505-1585)
Josquin Desprez Tu pauperum refugium
(ca.1440-1517)
Hildegard von Bingen O viridissima virga
(1098-1179)
Leonhard Lechner Deutsche Sprüche von Leben und Tod
(1553-1606)
O morte, eterno fin di tutt’ i mali. O Tod ewiges Ende, oder
möglicherweise Endzweck von allem Übel. Das italienische fine lässt dies
offen.
Die Endlichkeit gehört zur conditio humana und hat zu allen Zeiten nicht
nur Magie,Religion, Philosophie und Wissenschaft zu Reflexion und
Erklärungsversuchen geführt, sondern vor allem auch die Kunst zu
Deutungen und Darstellungen inspiriert: Malerei, Literatur, Theater,
Architektur und Musik haben eine Fülle von Werken geschaffen, deren
Inhalt die Sterblichkeit des Menschen, sein Tod ist.
Das heutige Programm bringt ein kleines Segment dieses thematischen
Genres.
Cipriano de Rore hat einen Text von G.G.Cinzio vertont, der im Tod vor
allem die Erlösung von irdischen Leiden und Qualen sieht.
Der karge Text, wie auch die minimalistische Musik Gerhard
Lampersbergs zwingt den Blick auf das Ende hin. Mantragleich beschwört
er die Furchtlosigkeit angesichts einer zu erwartenden (erhofften)
Seligkeit.
Die große Trauerklage des Jeremias gilt der Zerstörung Jerusalems und
seines Tempels im Jahr 586 v. Chr. durch den Babylonierkönig
Nebukadnezar. Jerusalem wird in personifizierter Form beschrieben: als
verlassene Witwe, entehrte Geliebte, Tochter Zion und klagende Mutter.
Der Ruf zur Umkehr beschließt die beiden Teile der Lamentationen von
Thomas Tallis: Jerusalem, Jerusalem, convertere ad Dominum Deum
tuum.
Gott als Zufluchtsort und alleinige Segensquelle bis hin zum Tod liegt
diesem Appell Josquin Desprez zu Grunde.
Hildegard von Bingens O viridissima virga bildet in dem Programm eine
Zäsur. Nicht der Tod steht im Fokus, sondern die blühende, lebendige,
gesegnete Natur. Doch in aller Natur ist auch deren Tod mitgedacht.
Siehe Josef Winklers Natura morta.
Leonhard Lechners Deutsche Sprüche von Leben und Tod sind ein
15-teiliges Werk mit kurzen Textabschnitten. Der Verfasser ist unbekannt.
Das 4-stimmige Werk zeigt die großartige polyphone Satzweise, vermittelt
durch seinen Lehrer Orlando die Lasso. Der Musikwissenschaftler
Friedrich Blume kommt zum Urteil, dass Lechner einen Totentanz
komponiert hat, für den es in der gesamten deutschen Musikgeschichte
keine Parallele gibt.
Das Werk endet in ewigen Freuden und in Seligkeit. Und gleicht darin
dem Werk Gerhard Lampersbergs.
Texte
O morte, eterno fin (Cipriano de Rore)
O morte, eterno fin di tutt’i mali,
riposo delle membra e della mente,
utile e necessaria a gl’animali
più che la vita assai chi pon ben mente;
porto de’ ciechi e miseri mortali
ch’errando van da l’orto a l’occidente;
tu prigion spezzi e rompi aspre catene,
e metti fine a l’amorose pene.
O Tod, ewiger Endzweck
O Tod, ewiger Endzweck aller Übel,
Ruhe der Glieder und des Geistes,
Hilfreich und unabwendbar für die Lebewesen
Weit mehr als das Leben, wenn man es recht bedenkt;
Hafen der blinden und armseligen Sterblichen,
die vom Aufgang der Sonne zum Untergang irren;
Gefängnisse brichst Du auf, und Ketten sprengst Du,
Und den Liebesqualen bereitest Du ein Ende. (Übersetzung: Edgar Sallager)
but bliss (Gerhard Lampersberg)
o death o tod
no fright kein schrecken
no fear keine angst
but bliss nur seligkeit
The Lamentation of Jeremiah (Thomas Tallis)
Teil 1
Incipit lamentatio Jeremiae prophetae.
ALEPH. Quomodo sedet sola civitas plena populo!
Facta est quasi vidua domina gentium,
princeps provinciarum facta est sub tributo.
BETH. Plorans ploravit in nocte, et lacrimæ eius in maxillis eius:
non est qui consoletur eam, ex omnibus caris eius;
omnes amici eius spreverunt eam, et facti sunt ei inimici.
Jerusalem, Jerusalem, convertere ad Dominum Deum tuum.
Teil 2
De lamentatione Jeremiae prophetae.
GIMEL. Migravit Juda propter afflictionem, et multitudinem servitutis,
habitavit inter gentes, nec invenit requiem.
DALETH. Omnes persecutores eius apprehenderunt eam inter angustias.
Lugent eo quod non sint qui veniant ad solemnitatem.
Omnes portae eius destructae, sacerdotes eius gementes,
virgines eius squalidae, et ipsa oppressa amaritudine.
HETH. Facti sunt hostes eius in capite; inimici eius locupletati sunt.
Quia Dominus locutus est super eam propter multitudinem iniquitatum eius.
Parvuli eius ducti sunt captivi ante faciem tribulantis.
Jerusalem, Jerusalem, convertere ad Dominum Deum tuum.
Die Klagelieder Jeremias
Teil 1
Es beginnt die Klage des Propheten Jermias.
ALEPH. Wie liegt die Stadt so verlassen, die voll Volks war!
Sie ist wie eine Witwe, die Fürstin unter den Völkern,
und die eine Königin in den Ländern war, muss nun dienen.
BETH. Sie weint des Nachts, dass ihr die Tränen über die Wangen laufen.
Es ist niemand unter all ihren Lieben, der sie tröstet .
Alle ihre Freunde sind ihr untreu und ihre Feinde geworden.
Jerusalem, Jerusalem, wende dich zum Herrn, deinen Gott.
Teil 2
Über die Klage des Propheten Jeremias.
GIMEL. Juda ist ausgewandert wegen Unterdrückung und schwerem Dienst,
es wohnte unter fremden Völkern und findet keine Ruhe.
DALETH. Alle seine Verfolger kommen heran und bedrängen es.
Sie trauern , weil niemand auf ein Fest kommt.
Alle Tore der Stadt stehen verödet, ihre Priester seufzen,
ihre Jungfrauen sind trostlos, und sie ist bedrückt von Bitterkeit.
HETH. Ihre Gegner sind obenauf, die Feinde haben sich bereichert.
Denn der Herr hat über die Stadt Jammer gebracht um ihrer großen Sünden
willen.
Ihre Kinder sind gefangen vor dem Feind dahingezogen.
Jerusalem, Jerusalem, wende dich zum Herrn, deinen Gott.
Tu pauperum refugium (Josquin Desprez)
Tu pauperum refugium, tu languorum remedium,
spes exulum, fortitudo laborantium,
via errantium, veritas et vita.
Et nunc Redemptor, Domine, ad te solum confugio,
te verum Deum adoro, in te spero,
in te confido, salus mea, Jesu Christe.
Adiuva me, ne unquam obdormiat in morte anima mea.
Du Zufluchtsort der Armen, du Linderung der Matten,
Hoffnung der Verbannten, Stärke der Bedrückten,
Weg der Verirrten, Wahrheit und Leben.
Zu dir allein, Erlöser, Herr, nehme ich jetzt Zuflucht,
dich, wahrer Gott, bete ich an, in dich hoffe ich,
dir vertraue ich, mein Heil, Jesus Christus.
Hilf mir, dass meine Seele dereinst nicht im Tode entschläft.
O viridissima virga (Hildegard von Bingen)
1.O viridissima virga ave,
que in ventoso flabro sciscitationis
sanctorum prodisti.
2. Cum venit tempus quod tu floruisti in ramis tuis,
ave, ave fuit tibi, quia calor solis in te sudavit
sicut odor balsami.
3. Nam in te floruit
pulcher flos qui odorem dedit
omnibus aromatibus que arida erant.
4. Et illa apparuerunt omnia in viriditate plena.
5. Unde celi dederunt rorem super gramen
et omnis terra leta facta est
quoniam viscera ipsius frumentum
protulerunt et quoniam volucres coeli nidos
in ipsa habuerunt.
6. Deinde facta est esca hominibus
et gaudium magnum epulantium.
Unde, o suavis Virgo, in te non deficit ullum gaudium.
7. Hec omnia Eva contempsit.
8. Nunc autem laus sit Altissimo.
O allergrünster Zweig
1. O allergrünster Zweig, sei gegrüßt,
der du im windigen Wehen des Suchens
der Heiligen hervorgesprossen bist.
2. Als die Zeit gekommen war,
da du erblühtest in deinen Zweigen, vielfacher Gruß galt dir,
weil die Sonnenglut in dir ausschwitzte wie der Duft des Balsams.
3. Denn in dir blühte
eine liebliche Blume, die Duft verlieh
allen Gewürzpflanzen, die trocken gewesen waren.
4. Und jene sprossen hervor, allesamt in sattem Grün.
5. Dann spendeten die Himmel den Tau auf dem Grase,
und die ganze Erde wurde beglückt,
weil ihr eigener Schoß Korn hervorbrachte
und weil die Vögel des Himmels
Nester auf ihr bauten.
6. Alsdann wurde den Menschen Speise zuteil
und die große Freude der Schmausenden.
Von nun an, du liebliche Jungfrau, mangelte es in dir an keiner Wonne.
7. All dies schätzte Eva gering.
8. Doch nun sei Preis dem Allerhöchsten.
Deutsche Sprüche von Leben und Tod (Leonhard Lechner)
Alles auf Erden stets mit Gefährden
des Falls sich wendet hin und her ländet.
Auch Sonn, Mond, Sterne, Witt’rung bewähren
samt den Jahrszeiten Unbständigkeiten.
Wir Menschen reisen gleich armen Waisen,
die sind mit Sorgen ung’wiß, wo morgen.
Heint frisch, wohlmächtig, g’sund, schön und prächtig
morgen verdorben, tot und gestorben.
In Gottes Händen alls steht zu enden;
sein wir geduldig, erwarten schuldig.
Gedenk mit nichten, dich b’ständig z’richten
in die Welt g’fährlich, drin nichts beharrlich.
Wenn sich erschwinget das Glück, dir g’linget,
tu nit drauf bauen ihm z’viel vertrauen.
So überfallen dich Trübsals Qualen,
sei nit kleinmütig, murrend, ungütig.
Was jetzt im Laufen, liegt bald zu Haufen,
das kann sich schicken, all Augenblicken.
Weil dann so unstet dies Schiff der Welt geht
so lasst uns denken wohin zu lenken.
Wir wöllen kehren zu Gott, dem Herren,
uns nach seim G’fallen richten in allem.
Ihn fürchten, lieben, sein Wort stets üben.
Er wird erbarmen sich unser Armen.
Sein Gnad und Güte wird uns behüten,
trösten, entbinden von unsern Sünden.
Sein Hand wird retten aus allen Nöten;
wir leben, sterben, jetzt nit verderben.
Nach diesem Leiden, er ewig Freuden
uns schenkt unfehlig. Dann sind wir selig.