ich hab genug erfahren

Zum 50.Todestag von Christine Lavant

Vertonungen aus dem lyrischen Werk von Christine Lavant

von Günter Mattitsch Dietmar Pickl

Hannes Raffaseder und Wilfried Satke

Hortus Musicus:

Christa Mäurer (Sopran)

Waltraud Russegger (Mezzosopran)

Michael Nowak (Tenor)

Günter Mattitsch (Bariton)

Dietmar Pickl (Bass)


Programm

 

Günter Mattitsch     (*1947)  

Hannes Raffaseder      (*1970)  

Janni Oswald         (*1957)  

Günter Mattitsch   

 

Dietmar Pickl

(*1941)  

Janni Oswald  

 

Günter Mattitsch

  

Wilfried Satke

(*1955)  

 

 

 

Jani Oswald

 

Günter Mattitsch

 

 

Jani Oswald

 

Günter Mattitsch

 

 

 

Gebet der Christine Lavant: Litanei

 

Bettlerlied

(auch für freischaffende Künstler zu singen)

Tiefe Tal

 

Gebet: Aleph

Verschriener Tod

ich hab genug erfahren

 

Tiefen Schlund

 

Gebet: Beth

Durch eines der vielen….

Die Angst weiß, dass ich singe:

Mein Schatten

¼ Schlaf, ¾ Angst

Über so hauchdünnen Schlaf

 

Abend braun

 

Gebet: Gimel

Erlaube mir, traurig zu sein

 

Andern Rand

 

Gebet: Letzte Bitte

 



Gefördert durch: Internationale Christine Lavant Gesellschaft, Wien

Der Todestag der großen Dichterin Christine Lavant (1915-1973) jährt

sich in diesem Jahr zum fünfzigsten Mal. Dies ist der Anlass für die

Gestaltung des heutigen Konzertes.

Der Abend bringt Vertonungen aus dem umfangreichen lyrischen Schaffen

Christine Lavants. Dietmar Pickl, Günter Mattitsch, Hannes Raffaseder

und Wilfried Satke nähern sich dem Werk Lavants mit ihren

kompositorischen, demnach unterschiedlichen Mitteln, verbunden einzig

durch die Besetzung für ein 5-stimmiges Vokalensemble.

Als Reflexionen auf das poetische Schaffen der Lavant stehen die Texte

von Jani Oswald, welche zwischen den Vokalstücken gelesen werden. Sie

sind Variationen zu Vita und Werk der Dichterin, können gleichsam

gefasst werden als Transformatoren von lyrischer Energie der Christine Lavant.


Texte

 

Litanei

Selig sind, die da geistlich arm sind; denn ihrer ist das Himmelreich.

 

Selig sind, die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden.

 

Selig sind die Sanftmütigen; denn sie werden das Erdreich besitzen.

 

Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit; denn sie

sollen satt werden. 

 

Selig sind die Barmherzigen; denn sie werden Barmherzigkeit erlangen. 

 

Selig sind, die reines Herzens sind; denn sie werden Gott schauen. 

 

Selig sind die Friedfertigen; denn sie werden Gottes Kinder heißen. 

 

Selig sind, die um Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn ihrer ist das

Himmelreich.

 

 

Bettlerlied

Ich weiß, daß ich bald sterben muß.

Vielleicht am Ast, vielleicht am Fluß?

Am Ende ists dasselbe.

Der Kohlstrunk dort, der gelbe,

soll wohl die Mondessichel sein?

Mir geht so vieles jetzt nicht ein,

vor allem nicht mein Sterben.

Die Sterne diese Scherben,

zerfunkeln mir noch den Verstand

bevor ich ins gelobte Land

einzieh mit meiner Seele.

Oh meine arme Kehle!

Wie wirst du leiden, dort im Wald,

so ohne Luft! ... Der Fluß ist kalt,

mir tut mein Leib erbarmen.

Und doch: - Was bleibt mir Armen

Als hängen und ersaufen?

Das kann man noch erkaufen

Mit seinem ganzen Hab und Gut,

der Handvoll wilder Bettlerwut.

 

Verschriener Tod, für mich bist du so schön!

Schon morgens denk ich dich als Hütte aus,

In die ich einziehn werde schon am Abend,

Und daß ein Stern darüber scheinen wird.

Nicht einmal vor dem Umzug hab ich Angst!

Man wird zwar viel vorher verbrennen müssen,

den Leib gewiß mit allen seinen Süchten

Und von der Seele das, was sie sich hier

zusammentrug an Mut und Freudigkeit.

Nur meine Liebe, Tod, die bring ich mit!

Für die musst du, wenn du mein Obdach bist,

den besten Winkel meiner Hütte richten

und, wenn es sein kann, baue auch ein Fenster,

Damit der Stern, der gute, den ich meine,

ihr dort zum Diensten geht mit allem Trost,

den ich ihr hier niemals hab’ geben können.

 

Ich hab genug erfahren

Ich will vom Leiden endlich alles wissen!

Zerschlag den Glassturz der Ergebenheit

und nimm den Schatten meines Engels fort.

Dort will ich hin, wo deine Hand verdorrt,

ins Hirn der Irren, in die Grausamkeit

verkümmerter Herzen, die vom Zorn gebissen

sich selbst zerfetzen, um die tolle Wut

hineinzustreuen in das Blut der Welt.

Mein Engel geht, er trägt das Gnadenzelt

auf seinen Schultern, und von deiner Glut

hat jetzt ein Funken alles Glas zerschmolzen.

Ich bin voll Hoffart und zerkau den stolzen

verrückten Mut, mein letztes Stückchen Brot

aus aller Ernte der Ergebenheit.

Du warst sehr gnädig, Herr, und sehr gescheit,

denn meinen Glassturz hätt ich sonst zerschlagen.

Ich will mein Herz jetzt mit den Hunden jagen

und es zerreißen lassen, um dem Tod

ein widerliches Handwerk zu ersparen.

Du sei bedankt - ich hab genug erfahren.

 

Durch eines der vielen gelben

Löcher des Himmels

Tröpfelt der Mut

in mein gläsernes Herz.

Ich darf keinen Tropfen verbrauchen,

ehe die Sonne

aufgeht und zeigst,

wie verlassen ich bin.

Durch eines der vielen gelben

Löcher des Himmels

drängt mein Gebet

In das goldene Haus.

Ich darf es noch lange nicht betreten.

Gläserne Herzen

brechen zu leicht

in der prüfenden Hand.

 

Mein Schatten kann über Wasser gehen,

wenn Mond oder Sonne nur richtig stehen,

mein Schatten glänzt dann am Scheitel.

Dieses Glänzen ist freilich bloß eitel

und kann nichts erwärmen, nie leibhaftig sein,

doch manchmal verdankt ihm ein einfacher Stein,

daß er silbern erstrahlt vor den andern.

Mein Schatten geht selbständig wandern,

auch oft in der Nacht aus dem untersten Traum,

mich hängt er dann so wie ein Pferd an den Baum

des Schlafes und läßt mir kein Futter.

Ich schreie um Vater und Mutter,

auch um die Geschwister und um den Tod,

doch bringen sie mir weder Zucker noch Brot,

ich höre nur alle von ferne.

Sie reden mir zu durch ein gläsernes Tor

und schließlich kommt doch nur mein Schatten hervor

in Begleitung ertrunkener Sterne.

 

Ein Viertel Schlaf, drei Viertel Angst -

wenn du jetzt ein Gebet verlangst,

dann wird es wohl nicht meines sein;

denn was sonst betet, ist ein Stein

und schwitzt in seiner Grube.

Der Mond geht durch die Stube,

mit seinem halben Angesicht

versucht er, meinem Augenlicht

ein wenig beizustehen.

Das hilft nicht viel, es minderte nur

das Viertel Schlaf und läßt die Spur

der Träume ganz verwehen.

Noch wußte ich, wo Zuflucht ist,

und hoffte, mit viel Über-List

den Stein dorthin zu rollen.

Jetzt aber - mit den vollen,

angstvollen Augen - geh ich blind

durch Mond und Stube durch den Wind

und durch sehr fremde Dinge.

Die Angst weiß, daß ich singe,

sie hat Geduld, stört keinen Ton,

läßt mich dich, Vater, Geist und Sohn

in allen Namen nennen.

Sie ist sehr stark in dieser Nacht,

macht schwerberauscht und überwacht

zugleich das Niederbrennen

von aller Zuflucht hier und dort

und geht dann voller Schwermut fort,

als würde ich nichts taugen.

Schlaf rinnt in meinen Augen,

Schlaf überwältigt das Gebe,

mit dem der Stein sich heimwärts dreht.

 

Über so hauchdünnen Schlaf

können nur Vögel gehen.

Unten im wachen Wasser

pflanzt sich das Hastige fort

ihrer halb schon fliegenden Schritte.

Oh, meiner Selle ist schwer!

Wer hat ihr den Stein um den Hals gehängt

und ihre Flügel verknotet?

Sie allein muß unten verharren

und ist doch die Mutter der hastigen Vögel

und kam einst über die tiefsten Wasser

zu der schimmernden Insel hinüber.

Jetzt horcht sie hinauf,

jetzt horcht sie hinab,

und während über den hauchdünnen Schlaf

die leichten Gedanken wie Vögel stelzen,

trommelt sie unten auf ihren Stein:

Ehre sei Gott in der Höhe!

 

Erlaube mir traurig zu sein

unter deinen Augen, den Sternen.

Vielleicht sehen sie nicht, daß ich traurig bin,

denn die Muschel des Mondes ist abgewandt

und hört nicht auf meine Gespräche.

Bei Tag denkt sicher die Sonnenstirne

niemals über mich Dämmernde nach –

 

Letzte Bitte

erlaube mir, gänzlich verloren zu gehen

in den Büschen der Schwermut.


Copyright © 2018 Hortus Musicus