ECHO AUS DEM ABGRUND

Musik von Günter Mattitsch nach Gedichten von Nguyen Chi Thien

Hortus Musicus:

Christa Mäurer

Waltraud Russegger

Michael Nowak

Dietmar Pickl

 

Leitung: Günter Mattitsch

Carinthia Saxophon Quartett

Gilbert Sabitzer

Gerhard Lippauer

Rudolf Kaimbacher  

Günter Lenart



Nguyen Chi Thien (1939-2012) ist der bedeutendste Dichter Vietnams im 20. Jahrhundert. Im Alter von 21 Jahren wurde er als Dissident des kommunistischen Systems Nordvietnams in verschiedene Gefängnisse und Umerziehungslager gebracht, in denen er mit einigen Jahren Unterbrechung insgesamt 27 Jahre gefangen gehalten wurde. Trotz Folterungen, Krankheit und jahrelanger Isolationshaft hat er die Zeit als Gefangener überlebt, wohl auch mit Hilfe seiner Poesie, die er in den Lagern schuf, die er zwar nicht niederschreiben konnte, da dies verboten war, die er aber ständig memorierte und so im Gedächtnis bewahren konnte. In den Zeitspannen der Freiheit schrieb er seine Gedichte im Haus seiner Eltern auf. Es waren hunderte. 1979 gelang es ihm, einem Diplomaten der Britischen Botschaft in Hanoi ein Manuskript seiner Gedichte zu übergeben.

So fanden seine Gedichte den Weg in den Westen. Sie wurden ins Englische, Französische, Holländische und durch Dr. Bui Hans Nghi auch ins Deutsche übersetzt. Es folgten Übersetzungen ins Spanische, Chinesische und Koreanische.

Für diese Gedichte wurde NCT im Jahre 1985 in Rotterdam der International Poetry Award in Abwesenheit verliehen.

Vor der Britischen Botschaft wurde Nguyen Chi Thien erneut verhaftet. Er kam in das berüchtigte Hof Lo Gefängnis, das auch das Hanoi Hilton genannt wurde. Erst 1991, nach weiteren 12 Jahren Gefangenschaft und nachdem er 1985 in Einzelhaft gehalten wurde, die er fast nicht überlebte, wurde er entlassen. Zahlreiche Bemühungen von Amnesty International und dem PEN-Club, ihn früher freizulassen, schlugen fehl. Bei seiner Entlassung wog er 80 pounds, sein späteres Gewicht betrug 139 pounds.

1995 zog NCT nach den USA zu seinem Bruder nach Virginia.

1998 wurde ihm vom International Parliament of Writers ein Stipendium zuerkannt. Er verbrachte 3 Jahre in Frankreich und schrieb dort in Prosa über seine Erfahrungen im Hof Lo Gefängnis.

Die Gesamtausgabe seiner 700 Gedichte (Hob Dia Nguc - Blumen der Hölle) konnte noch zu seinen Lebzeiten erscheinen.

Nguyen Chi Thien starb am 2. Oktober 2012 in einem Krankenhaus von Santa Ana in Kalifornien.


Texte

 

1 Mich dürstet

Mich dürstet nach einer Liebe, einfach und rein,

an der nicht der geringste Schmutz des Lebens klebt.

Eine Liebe, die seit tausend Jahren und noch heute

die Betrunkenen erfinden und beschreiben.

Ich träume von einer Liebe, stark und innig,

die die Schwerkraft nicht kennt, sondern in der Höhe schwebt,

völlig unbekümmert,

ob der verstaubte Planet unten sich weiterdreht oder stehen bleibt,

und die sich zum ewig-zärtlichen Reich der Betrunkenen erhebt.

 

2 An die Bitterkeit

An Bitterkeit bin ich gewöhnt, habe keine Angst mehr vor ihr!

Von der Süße des Lebens habe ich im Traum genug gekostet.

Nun ist der Traum vorbei, die Hefe tot und schal der edle Wein,

weg ist der Duft, weg der Geschmack.

 

3 Hängematte

In der Hängematte aus Himmel,Wolken, Bäumen und Laub

liege ich und lausche dem verworrenen Konzert der Vögel.

Die Hängematte schaukelt im Rhythmus der sanften Brise,

die meine bleiche und schweißüberströmte Stirn zärtlich streichelt.

An schönen Tagen scheint die Hängematte aus Himmel, Wolken, Bäumen und Laub wie mit Fäden aus Gold und Silber

auf glänzend blauem Hintergrund bestickt.

Die Hängematte schaukelt mit den wippenden Zweigen

und schüttelt Dreck, Schlamm, Abfall, alles ab.

In der Hängematte findet meine Seele Frieden und Ruh'

und empfindet das Leben so schön wie im Bilderbuch.

Ringsum schwimmt alles im satten Grün und Blau,

Farben von Himmel, Laub, Moos und Gras.

 

4 Albtraum

Der Lebenstraum liegt sterbend, ausgehungert, abgemagert.

Kein Heilmittel für mein Leben, nur noch das schwarze, schwarze Grab.

O Traum, erschöpft ist meine Seele nun,

der Atem fehlt ihr, um dich weiter zu pflegen.

 

5 Trugbild

Der Himmel ist so finster. Stehen dort Bäume oder graue Skelette?

Schweben dort düstere Wolken oder trauerfarbene Leichentücher?

Die Kälte, die uns in die Eingeweide schneidet, ist das der seufzende Wind

oder der Atem des Todesreiches? Das Tal ist leer, finster, einsam und kalt,

ist das der Ort, wo trockene Knochen begraben liegen?

Und diese erbärmlichen Menschenscharen, sind das verdammte Gefangene oder Dämonen des Hungers in der irdischen Hölle?

Sind das junge Männer, auf deren mageren, sonnenverbrannten Gesichtern

die Leidensfähigkeit geprägt ist:

in ihren kalten Augen leuchtet ein düsteres Feuer auf.

Sie blicken auf zu den Bergen und Flüssen, in Finsternis verhüllt,

und senken ihren Kopf, versunken in ihre bedrückenden Gedanken.

 

6 Gebet

Ich bedauere es nicht, vom Leben ausgestoßen zu sein.

Ich bedauere es nicht, dass mein Körper in seiner Verwesung zum schwarzen Schlamm wird.

Wenn aber meine Verse verloren gingen, die ich in der Nacht der Erniedrigung, in Gesellschaft von Wanzen und Mücken geschrieben,

dann würde ich es bedauern und unten in der Erde lautlos weinen.

 

7 Testament

Meine Poesie ist keine Poesie, sondern die Stimme,

nein, das Stöhnen und Schluchzen des Lebens,

das Quietschen des Gefängnistores, finster wie die Nacht,

das Röcheln zweier zerfressener Lungen,

der Laut der Erdmassen, mit denen man die Träume zuschüttet,

das Gerassel von Schaufeln, die die Erinnerung ausgraben,

das erbärmliche Klappern der Zähne vor Kälte,

das Gejammere des leeren Magens in seinen hoffnungslosen Zuckungen,

das einsame Klopfen des ermatteten Herzens,

der Schrei der Ohnmacht vor tausendfachen Zusammenbrüchen.

Wahrlich kann man das nicht Poesie nennen,

sondern nur die Stimme eines ausweglosen Daseins.

 

8 Unser Lebensmorgen

Deshalb will ich, auch wenn der Nachthimmel

so schwarz, so undurchdringlich tief,

sich noch grenzenlos über unserem Kopf ausbreitet,

im Gebet ausharren, am Leben bleiben

und fest daran glauben, dass der Morgen kommt,

dass der Morgen kommen wird.

 

9 Koan

Die Abendsonne wirft gelbe Flecken auf den Rasen.

Der Schatten des vergangenen Tages liegt schwer auf dem Banyan Baum.

Das Wasser zählt mit Wehmut von den vergangenen Monaten und Jahren.

In Gedanken versunken verfolgt der Reisende das Spiel der Schatten.

„Das Leben birgt in sich zwar tausend Müh´n,

hüte dich aber vor Klagen und Sehnsüchten.

Schau, der Sonnenschein ist allmählich auf dem Grab erloschen.

Alles wird bald in aller Stille vergangen sein.“

 

10 Mein Herz

Mein Herz, das ist eine arme Herberge, gegen die Winde offen;

es steigt dort nur ab, wer sich verirrt hat,

und keine Unterkunft in der nebeligen, nasskalten Nacht findet.

Die glücklosen Reisenden werden dort nur

die bescheidene Wärme einer kleinen Lampe vorfinden.

 

11 Silvesternacht

Nacht im Dschungel.

Der Regen fällt unaufhörlich durch das durchlöcherte Dach.

Die Arme um die Knie verschränkt, tauschen wir sitzend Blicke aus.

Eine winzige Lichtquelle, die Öllampe.

Hier ein Kübel für Urin, dort ein Kübel für Kot

und der hölzerne Boden als Schlafstätte voll sauggieriger Wanzen.

Das ist der Silvesterabend für Gefangene.

 

12 Kein Platz

Ich bin ein Reisender, einsam und verlassen,

dem kein Platz in dem Zug, den man Erde nennt, reserviert ist.

Den Zug habe ich verpasst, auf dem falschen Bahnhof gelandet,

bestohlen, habe ich nun einen Stehplatz mitten im Gedränge,

auf dem Boden des dreckigsten Abteils, ein Abteil,

das für das Vieh reserviert ist.

 

13 Verzweiflung

O ihr, die ihr in sonnigen Landschaften euer Leben verbringt,

versteht bitte, dass das Schweigen hier mitten im Sumpf,

nur ein herzzerreißender Schrei der Verzweiflung ist.

 

14 Abend

Ich träumte in einem fort den einen Traum,

einen Traum, den ich, seit wann wohl, träume.

Vielleicht seit jenem Tag, da mein Herz bitter erfährt,

das Leben zerstört alle Erwartungen.

Eines Abends, das war ein Abend wie im Gedicht,

als ich weder hoffen noch wünschen konnte,

erschien eine kleine Hand voll Zärtlichkeit,

die mein bereits zerrissenes Leben zusammenflickte.

Auf hohen Meereswellen schaukelt ein winziger Fleck,

bald oben, bald unten, in grenzenloser Einsamkeit.

Die Segel zerfetzt, die Ruder in Stücken, auf Zusammenbruch wartend.

Doch träumte ich immerfort den einen Traum.


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