Aufzeichnungen aus einem Irrenhaus

Dieter Kaufmann nach Texten von Christine Lavant


Hortus Musicus:

Christa Mäurer (Schwester)

Waltraud Russegger (Ich)

Michael Nowak (Erzähler)

Günter Mattitsch (Primarius)

Dietmar Pickl (Gerichtspsychiater)


„Aufzeichnungen aus einem Irrenhaus“ ist die literarische Studie eines freiwilligen Aufenthalts der 20-jährigen Christine Lavant in einer „Irren-Anstalt“. Diese Aufzeichnungen wurden allerdings erst 11 Jahre danach zu Papier gebracht. In Bildern, denen man sich schwer entziehen kann, schildert die Ich-Erzählerin Bewusstseins- und Unterbewusstseinszustände von Insassinnen, Personal, BesucherInnen und sich selbst. Die Grenze zwischen „normal“ und „unnormal“ oder „krank“ verschwimmt. Selten hat jemand so über die Abgründe von Psyche und Psychiatrie zu schreiben vermocht, selten ist jemand so unbedingt und schonungslos .auf das eigene Leben zugegangen.

 

Die Komposition von Dieter Kaufmann ist für 5 Stimmen a cappella geschrieben, verbunden und unterbrochen durch gesprochene Textpassagen.

 

Im zweiten Teil werden den einzelnen Stimmen „Rollen“ und Funktionen aus Lavants Werk zugeordnet (Schwester, Ich, Erzähler, Primarius, Gerichtspsychiater)


TEXTE

 

1. Teil

BERTA

Gerade hat Berta getanzt. Vielleicht war sie sogar glücklich dabei oder zumindest ein ganz williges Werkzeug. Wer aber war in ihr? Wer hieß sie den gestreiften Anstaltsrock über die nackten, mageren Knie aufheben und die fahle Haarsträhne so in die Stirne schütteln, daß sich darunter ihre blassen Augen unendlich veränderten? Wer gab ihr den eigentümlichen Rhythmus ein, nach welchem sie auf den braunen Fliesen vor und zurück schritt? Und die hohe Stimme, die einer singenden Säge glich und aus dem zahnlosen Mund so fremd herausschrie, daß man jeden Moment erwartete, ein kleines weißes Tier darin zu entdecken. Aber es blieb verborgen, es sang nur hoch und verzückt für irgend jemanden, der vielleicht unsichtbar mitten unter uns war. Wenn es aber Dinge gibt, die unsichtbar unter uns sein können, dann gibt es wohl auch solche, die nach uns noch ausdauern, und ich bin mit dem, was ich tat, schon vom Verstande her ins Unrecht gesetzt. Was nützt es, ein Leben abzubrechen, wenn es noch irgendwelche Fortdauer gibt? Aber ach du mein Gott, vielleicht habe ich nun die Grenze schon überschritten und bin längst nicht mehr bloß Gast hier, sondern gehöre zu allen diesen, die mich noch fremd und voll Verdacht ansehen?... Was ist geschehen? Nichts weiter, als daß eine Irre wirres Zeug vor ich hin sang: “Aeiou, was werde ich morgen sein? Zuerst war ich Erde, dann Stein, dann ein Baum und eine Blume...Aber dann war ein Fenster offen, ein großes, wunderbares Fenster. Aeiou, es kam dann von allen Seiten zu mir, und ich war mehr als ein wehender Wald,… Aber sie schlugen es mir zu, das Fenster, mit ihren schweren, schwarzen Flügeln schlugen sie es mir zu und keiner begreift das Wort unter den stummen Flügeln...“ Sonst ist nichts geschehen.

 

SCHWESTER MINNA

Nein, ich werde dem Haß nicht verfallen, ich werde es noch so weit bringen, daß ich die Minna liebe...wenn sie funkelnd vor böser Lust eine Zwangsjacke zusammenschnürt. Was wird aus diesem Kind werden, das sie mit solchem Gesicht austrägt? Es soll verboten sein, daß Frauen in „gesegneten Umständen“ Dienst im Irrenhaus tun. Was soll aus diesem Geschöpf werden, das fortwährend diesen Haß- und Elendsstrahlungen ausgesetzt ist?

 

HANSI

Hansi ist erst zwanzig Jahre alt, ein volles Jahr liegt sie schon hier und wird alle Tage dreimal mit einem Schlauch durch die Nase ernährt, weil sie sich scheinbar vorgenommen hat, zu verhungern. Sie ist nur mehr ein Skelett, muß aber einmal vollendet schön gewesen sein. Ihr blauschwarzes Haar hat fällt ihr meist vom Bett bis auf den Boden hinunter. Wenn nachmittags ihre Mutter kommt, hebt diese das Haar wie ein Heiligtum auf. Die Schwestern werden hilflos wie Schafe vor dieser Mutter. Es wachsen hier ewig Berge der Qual, aber die Gipfel bilden jene, die täglich liebend hierher kommen und verzweifelt wieder gehen. Diesen kann man nicht ins Gesicht sehen, man ertrüge es einfach nicht.

 

DIE MAJORIN

Wenn ich bloß an die Majorin denke … Stunde für Stunde und wie eine Uhr schießt sie Tag und Nacht in ihrem Bett hoch. „Verflucht sei Österreich! Verflucht sei der Zar von Rußland!

Dreimal verflucht und vermaledeit sei die ganze Welt. Meinen Mann haben sie umgebracht, meinen herrlichen, stolzen Mann. Verflucht! Verflucht! Verflucht!! Der Teuf hole alles, was noch lebt!“ So geht es Stunde für Stunde, und selbst das Schnarchen der Sängerin mit dem Vollbart, das sonst den ganzen Saal ausfüllt, vergeht wie ein Hauch vor dem Ausbruch....und oft tritt dann gerade der Sohn ein. Mit ein paar großen Schritten ist er am Bett seiner Mutter und küßt ihr die Hand. Ich weiß es, ich spüre es, wenn ich mit geschlossenen Augen in meinem Bett liege. Hier gehen noch Veränderungen vor, die keinem Wunder nachstehen. Das ist nun keine Irre, keine Tobende und Fluchende mehr, nicht der leiseste Hauch von Haß lebt in diesen Stunden in der alten Aristokratin. Wie Christus über das Wasser, geht diese Mutter in der Gegenwart ihres Sohnes über das Wasser ihres Irrsinns. Und er glaubt ihr. Er fürchtet keine Sekunde, daß sie plötzlich wieder einbrechen könnte. Und sie bricht nicht ein. Nie bricht sie früher ein, als bis sich die letzte Tür des Irrenhauses hinter dem Sohn geschlossen hat, dann aber wird es furchtbar. Es ist, als ob sich eine ganze Hölle rächen wollte, daß sie für eine Stunde aus ihrem Eigentum verwiesen worden war. Aber das kann man mit Worten nimmer sagen, das ist fast noch schlimmer als der Anblick der Gekreuzigten. Ob ich nach Wochen hier noch einmal die Lust oder den Mut haben werde zu lachen? Ach, vielleicht sogar sehr! Vielleicht soll man überhaupt an solchen Orten erst das Lachen erlernen, um es ganz unverlierbar in sich zu haben.

 

DIE GEKREUZIGTE

„Laßt mich sterben, laßt mich um Gottes Barmherzigkeit sterben. Um der Leiden Christi willen, bringt mich um!!“ Ihr ganzer Leib windet sich dabei, und wie sie die Hände heben und falten möchte und nicht kann!, denn die müssen sich an die Mauer klammern, nein, hinein krallen, und sicher denkt sie manchmal, daß man sie vielleicht erhören würde, wenn es ihr bloß gelängen diese Hände richtig zu falten, und dann übersteht sie ihre wahnsinnige Furcht vor dem Fall, nimmt die Krallen von der Mauer zurück und bricht zusammen wie ein Tier. Dann erst, am Boden, wenn es keine Tiefe mehr unter ihr gibt, in die sie noch versinken könnte, überläßt sie sich der Raserei des Händefaltens. Wie Flügel schlagen sie auf und zu, wie Waffen schleudert sie sie von unten herauf, wie Stricke windet sie sie um die Füße der Vorübergehenden. Sie kann zwischen dreißig und vierzig sein, kann also sicher noch zwanzig Jahre leben und wird diese zwanzig Jahre an die Mauer geklammert wie eine Gekreuzigte oder auf den Boden geworfen wie ein Tier verbringen. Ihre Rede wird nichts sein als: „Bringt mich um, bringt mich um Gottes Barmherzigkeit um! Um der Christi Leiden bringt mich um!“ Immer wieder denke ich hier, dass Ärzte eigentlich alle Priester und Schwestern alle Nonnen sein müßten. Denn das, was hier an Leid vorkommt, geht so weit über alles Menschliche hinaus, daß ihm auch unmöglich vom bloß Menschlichen her begegnet werden kann.

 

DAS NUSSERL

Nusserl zum Beispiel ist gut. Sie ist auch die einzige, die dann und wann die Gekreuzigte von der Mauer ablöst und sie einigemale, im Gang auf und ab führt, umschlungen wie ein Kind, das man gehen lehrt. Allerdings erwartet sie auch ein Kind, und das mag ihr diese rührende, sanfte Herzlichkeit eingeben, daß alle sie lieben müssen und nicht anders als „Nusserl“ nennen können. Was für ein Unterschied ist doch zwischen ihr und Minna, wenn sie beide an dem Schwesterntisch sitzen und an den Babysachen arbeiten. Jede ist dann im Glück, aber die eine grenzt das ihre ab, behält es ganz für sich und wird, wenn sie aufblickt, meist gleich nüchtern und hart, während die andere bei allem, was sie tut, weich bleibt und von ihrem Glück, ohne es zu vermindern, immer wieder zärtlich da und dort was zerstreut.

 

 

2. Teil

DER GERICHTSPSYCHIATER

Ich bin abgerufen worden in das Ärztezimmer, wo der Gerichtspsychiater wartete. Schwester Friedel hat mich hingebracht.

„Nur Mut, mein Kind, er wird sie nicht fressen.“

Der Primarius war da und die Oberschwester und dann ein fremder, kleiner, glatzköpfiger Herr.

„Das also ist die Person? Sie haben sich also das Leben nehmen wollen. Möchten Sie uns nicht sagen, warum? Wir haben nicht viel Zeit. Ist sie überhaupt vernehmungsfähig?

„Ich denke schon.“

„Also bitte!“

„Ich mag einfach nicht.“

„Aber Sie müssen doch einen Grund dafür haben. Wahrscheinlich hat Sie der Freund verlassen, und es war nicht gleich ein anderer da, wie?!“

„Es war überhaupt nie einer da.“

„Aber warum arbeitet sie eigentlich nicht? Wenn sie auch etwas schwächlich ist, so könnte sie immerhin einen leichteren Posten ausfüllen, und Arbeit vertreibt alle Dummheiten.“

„Sie will ja nur dichten.“

„Ja, meine Teure, diese Gewohnheit wirst du dir freilich abgewöhnen müssen. Düchten mit Umlaut ü, gelt, wahrscheinlich kann sie nicht einmal ordentlich rechtschreiben, aber dichten will sie ! Sehen Sie, Kollege, solche Geschichten kommen heraus, wenn jeder Bergarbeiter glaubt, seine Sprößlinge in Hauptschulen und so schicken zu müssen. Also, mein Kind, das Düchten überlaß du schön anderen Leuten, und wenn dich der Herr Primarius wieder zur Vernunft gebracht hat, so nach ein, zwei Jahren, dann sei froh, wenn du eine Gnädige bekommst, die dich zu allen häuslichen Arbeiten ordentlich abrichtet. Verstanden?“

Was habe ich eigentlich davon erwartet? Heilung wovon? Dachte ich wirklich, daß so und so viel Arsen, in gewissen Abständen eingenommen, meinem Leben einen Sinn geben würde? Daß es mich schön oder mutig und frohsinnig machen könnte? Natürlich glaubte ich das keinen Augenblick, aber wo hätte ich sonst hin sollen nach dieser gräßlichen mißglückten Sache? Dreißig Pulver, drei Tage und vier Nächte totenähnlichen Schlaf, und dann wieder wach werden und alles ganz unverändert wieder um und vor sich haben.

Jeden Morgen Furcht vor dem kommenden Tag, vor jeder Forderung, die

dir gestellt wird. Jeden Gegenstand, den man berührt, voll Abneigung und

Feindseligkeit wissen, jeden Handgriff in der Gewißheit tun, daß er falschgerät. Zu nichts eine Liebe aufbringen, kein Zutrauen zu irgend einer Leistung, weil man das eine einzige noch nie zu leisten imstande war, dies, sich selbst so zu verändern, daß man geliebt würde.

 

DIE ELFENBEINERNE CONTESSA

Da sitze ich nun wieder an meinem Winkel-Platz, und es ist, als wäre ich innen erhöht worden, wie nach einer empfangenen Ehrung. Die Namenlose, für mich ist sie die elfenbeinerne Contessa, sie pflegt hin und wieder mit raschen kleinen Schritten in der oberen Hälfte des Ganges auf und nieder zu gehen; ihr langer, dunkler Rock fegt dann auf eine unternehmende, aber trotzdem zurückhaltende Art hinter ihr her, und es geschieht selten, daß man ihre Stimme hört.

„Würden Sie nicht die Güte haben, mit mir eine Partie Halma zu spielen?“

Und dann spielten wir also...

 

DIE MAGERE

Die Magere, die im zweiten Bett rechts von mir lag und ihre Zeit damit hinbrachte, zu schreien oder nach den Spritzen zu schlafen, ist am Morgen sterbend in den kleinen Raum vor den Klosetten gebracht worden, wo sie auf der niederen Bahre endlich allein starb. Es ist nicht gebetet worden dabei, aber der Tod tat es diesmal wohl auch so. Ich hätte ja beten können, aber mein erster Gedanke war der, ob ich nun ihr Bett bekommen könnte, um nicht mehr meine wachen Nächte so nahe am Leibstuhl verbringen zu müssen. Das ist also die berühmte Liebe: Eine stirbt nach entsetzlichen Leiden, stirbt wie ein Stück Vieh, und eine andere hat dabei nur den Gedanken, ob sie nun dieses ausgestorbene Bett bekommen könnte.

 

MAGDALENA

Ihr verseuchtes Blut muß ihr unendliche Pein verursachen, denn sie hat sich allen Warnungen zu Trotz so ausdauernd blutig gekratzt, bis man zwei Pfleger holte, um die Arme mit deren schamloser, wüster Hilfe in die Zwangsjacke zu zwingen. Ich weiß nicht, ob es tatsächlich notwendig war, aber bestimmt wäre es so nicht notwendig, denn wie sie an ihre Brüste ankamen, waren sie nicht Pfleger, sondern Männer, und hatten ihre Lust daran. Warum, wenn es Engel gibt, obliegt keinem davon die Aufgabe, Dinge, die erst in der äußersten Hölle vorkommen dürften, hier auf Erden zu verhindern.

Da schreibe ich nun dies mit gewöhnlichen Worten, schreibe sie wie irgendetwas, und müßte eigentlich die Mauern hier Stein für Stein abbrechen, um jeden einzeln gegen den Himmel zu werfen, damit dieser sich darauf besänne, daß er auch gegen sein Unten noch eine Verpflichtung hat. Vielleicht verfluche ich mich mit jedem dieser Worte, aber daß ich sie schreiben muß, ist mir am Ende wohl aufgesetzt. Andere müssen eine Brücke bauen, andere Kinder zum Leben bringen oder Dinge, die in ihnen liegen, in Töne umsetzen, irgendwo malt einer vielleicht eben ein Bild und haßt sich bei jedem Pinselzug mehr, ach, wir alle gehen der Richtung nach, in die wir geworfen sind. Steine! Steine! Steine!...

 

WEINKRAMPF

Ich hatte wieder einen Weinkrampf. Der Herr Primarius sagte: „Aber Fräulein, was denn, was denn?“, der Sekundararzt: „Kinderl, Kinderl, beruhigen Sie sich doch!“, die Oberschwester: „Meine Liebe, nehmen Sie sich gefälligst zusammen, Sie sind ja nicht alleine hier“...

Schwester Minna berichtete: „Wir mußten die Dorninger in die Zwangsjacke geben, vielleicht ist dem Fräulein das so zu Herzen gegangen?“...“Ja, Himmel, daran müssen Sie sich schon gewöhnen“ verständigte mich der Herr Primarius.

Später im Sprechzimmer.

„Die Nachtschwester berichtet, daß Sie schon die vierte Nacht ununterbrochen wachliegen...Muß das sein?...Wie, - oder...“

„Oder?...Was oder? Meinen Sie, es wäre eine Lust, hier wach zu liegen. Ein bißchen interessantmachen, nichtwahr, denken Sie wohl? Ja?“...

„Nun werden Sie nicht gleich so angriffig, ich denke gar nichts, ich bin da zu helfen, aber wenn Sie Tag und Nacht wach liegen, ist es kein Wunder, wenn Ihnen am Tag bei jedem Anlaß, und auch ohne, die Nerven durchgehen. Wissen Sie noch immer nicht, welche Pulver es waren?“...

„Nein, ich kann ja nicht Latein und hab auch kein besonders gutes Gedächtnis.“

„Schön, ich werde nun veranlassen-“... hier setzte er eine Weile aus, wahrscheinlich um mich mit Angst vor seinen etwaigen Veranlassungen klein zu bekommen. Dann, während er mir das dunkelgrüne Löschblatt, welches ich schon halb zerfetzt hatte, leise aus den Händen nahm, redete er weiter: „Ich werde also veranlassen, dass Sie jeden Abend vor dem Schlafengehen ein sehr heißes Bad bekommen, das wird Sie mit der Zeit schon beruhigen.“...

 

DAS BAD

Die Türe blieb offen, alle konnten aus und ein gehen und standen da herum, und es blieb nichts zu tun, als selbst die Augen zu schließen, um so wenigstens ein Alleinsein vorzutäuschen. Soll es nun jeden Abend so werden? Ach wurscht! Ich werde baden, werde jeden Abend vor mir selber ganz sauber sein und kann mich nachts in den einfachen Geruch meiner gewaschenen Arme hüllen, das ist mehr, als ich je gehabt habe.

Ach ich lache. Wahrhaftig, ich lache immer noch, ekelhaft, daß man sich so gar nicht in Gewalt hat. Wenn man lachen muß, so ist das um nichts besser als ein Weinkrampf. Ich lache nicht über meine Scham, die war zu gering dazu, nein wirklich, die verging mir sofort, als ich das Wohltun des warmen Wassers am Leibe hatte. Es handelt sich schließlich ja doch nur darum, daß man überhaupt etwas am Leibe hat, ein Zwischending zwischen dem eigenen Fühlbaren und dem Daraufzukommenden.

Schwester Friedel, die mich zu bewachen hatte, schrie: „Abziehn, aber fix, nun, wird’s bald?!“ Sie behauptete, ich sähe aus wie ein Junge, da bemerkte ich, daß ich auch vor ihr nackt sei, und ließ mich bis zur Nasenspitze ins Wasser fallen. Es sollte ja schön werden, unbedingt und allem zu Trotz. Das Wasser rauschte in meinen Ohren und hielt mir alles andere ab davon, die geschlossenen Augen verrieten nichts mehr von dem entsetzlichen Raum, und es gelang mir tatsächlich, vorübergehend so einsam zu werden, wie ich es brauchte, um die Wohltat ganz zu erhalten.

Aber man wird so schauerlich kitschig, wenn man mit sich allein ist und von Anstrengungen innerer Art erholt werden will, man vergreift sich dann so leicht zu Mitteln, die allen Geschmacks entbehren. Wie leicht und reinlich wäre es gewesen, an Meere zu denken, einen Strand, grau von Dünen und da und dort bloß gelb von Ginster unterbrochen. Ich dachte an Nofretete – die ägyptische Königin, ja ausgerechnet an die. An ihr herrliches Königsgesicht, ihre fremden, kostbaren Kleider, an das Heben ihrer Hände, wenn sie irgendwo am Rand der Wüste stand und vieles davon in ihrem uralten Blut spürte.

 

DIE KÖNIGIN

Die Königin stand vor mir, das ganze Gefolge wartend hinter sich, ihre Augen wie zwei ganz schwer beladene Luster verheißungsvoll gegen meine Nacktheit gerichtet. So wie sie redete, mußte man sich fragen, woher sie auf einmal ihre neue Sprache genommen hätte.

Niemand sagte es ihr ein, zumindest niemand Sichtbarer.

„Heute und morgen noch, und vielleicht noch einen halben Tag, dann ist der König in mir. Er kommt ganz leise, weil er über pures Wasser geht, in seinen Händen trägt er die Fische, die in den Netzen nicht mehr Platz haben, und wenn sie nicht Gold werden, läßt er sie fallen wie Stein, denn er braucht Gold. Mich aber wird er ansehen wie einen Stern und fragen: - Hast du sie alle mit Gold gefüllt, ist dir keiner geleert oder davongetragen worden?...Ich werde ihm dann bloß leise winken, und da wird er alle Fische, auch die goldenen, fallen lassen und mir in das Schatzzimmer folgen, wie einem Stern. Denn ich bin sein Morgenstern und das Heil aller Kranken. Drinnen werde ich ihm alle Strümpfe zeigen, voll mit purem, lauterem Gold, von dem drei große Truhen angefüllt werden, eine für ihn, den Herrn und König, eine für die heilige Kirche und eine für alle Armen. Und da werde ich einen meiner Strahlen für dich verwenden und ihn anleuchten und sagen: Diese da, mit dem Armen-Gold, gib der da, sie soll es verteilen nach Gnad und Gerechtigkeit, damit sie auch einen Verdienst hat, mit dem sie eingehen kann in unser Reich. Du, du, du sollst mich aber dafür ehren. Stehe auf und ehre mich!“

 

 

3.Teil

„Ja-?“

„Küssen Sie mich!...Sie sollen mich küssen.“

„Kind-“

„Bitte!“

„Aber ich habe einen Stockschnupfen. Fräulein, bringen Sie mir die Schnupfenkappe.“

„Jawoll, Herr Primarius.“

„So.“

„Kind.“


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