HORTUS MUSICUS
Christa Mäurer (Sopran)
Waltraud Russegger (Mezzosopran)
Michael Nowak (Tenor)
Günter Mattitsch (Bariton/Leitung)
Dietmar Pickl (Bass)
Lukas Aldrian Perkussion
Programm: Musik von Günther Mattitsch
Lacrimosa
Sicut cervus desiderat (42. Psalm)
…und haben nicht einmal das Leben verdient (Aziz Nesin)
Litanei (Seligpreisungen, Mt. 5/3-10)
Poi si tornò (Dante Alighieri)
Es ist ein Weinen in der Welt (Else Lasker-Schüler)
As time goes by…Das heutige Konzert ist das erste einer geplanten Reihe, die daran erinnern soll, dass das Ensemble Hortus Musicus vor 50 Jahren gegründet worden ist. Als Chor mit über dreißig Sänger*innen war der Hortus Musicus vor allem der Pflege der Renaissance- und frühgotischen Musik verpflichtet, ab den 1980-er Jahren auch der zeitgenössischen Musik . Höhepunkt dieser Auseinandersetzung mit Musik der Gegenwart war die Aufführung der „Volksoper“ von Dieter Kaufmann nach dem Theaterstück von Gert Jonke „Die Hinterhältigkeit der Windmaschinen“ im Jahr 1984. 1990 löste sich der Chor auf, an seine Stelle trat ein fünfstimmiges Solist*innen-Ensemble, das die Arbeit an der zeitgenössischen Musik verstärkte. Sichtbares Ergebnis dieser Arbeit war der Gewinn des 1. Preises beim international besetzten "Concorso C.A. Seghizzi" in Gorizia (Italien) im Jahr 1991 mit einem Werk von Günter Mattitsch.
Günter Mattitsch ist einer der Vereinsgründer des Ensembles Hortus Musicus im Jahr 1972, der Einzige, der von Anbeginn dabei war und - was noch wichtiger ist - dessen musikalischer Leiter bis heute.
Neben dieser künstlerischen Leitungsfunktion ist Mattitsch auch Komponist. Eine große Anzahl seiner Werke hat das Ensemble uraufgeführt. Was liegt näher, als das Ensemblejubiläum zu begehen mit einigen seiner Kompositionen, fallen doch die 50 Jahre Ensemblegeschichte zusammen mit Günter Mattitsch´ 75. Geburtstag.
... und haben nicht einmal das Leben verdient (Aziz Nesin)
Diese Komposition ist die Vertonung eines Textes von Aziz Nesin (1915-1995), einem sehr populären türkischen Schriftsteller. Er schrieb über 100 Bücher, von denen einige in 40 Sprachen übersetzt wurden. Seine Kritik an den politischen Verhältnissen der Türkei hatte häufig die Zensur seiner Bücher zur Folge. Er saß insgesamt über fünf Jahre in Untersuchungshaft, wurde aber immer wieder freigesprochen.1972 gründete er bei Çatalca in der Nähe von Istanbul die Nesin-Stiftung für Kinder, deren Familien ihnen den Zugang zur Bildung nicht finanzieren können. Bei einem alevitischen Kulturfestival im Sommer 1993 in Sivas erklärte Aziz Nesin öffentlich, er halte einen Teil der türkischen Bevölkerung für „feige und dumm“, da sie nicht den Mut hätten, für die Demokratie einzutreten. Als er die türkische Übersetzung von Auszügen aus Salman Rushdies „Satanische Verse“ herausgab, wurde er zum Hassobjekt islamischer Fundamentalisten. Am 2. Juli 1993 versammelten sich islamische Fundamentalisten nach dem Freitagsgebet vor dem Tagungshotel, das schließlich angezündet wurde. Nesin überlebte leicht verletzt, aber 37 Menschen wurden getötet.
Poi si tornò (Dante Alighieri)
Der Komponist schildert nachfolgend einige Aspekte für seine Auswahl der Verse aus Dantes Monumentalwerk „Die göttliche Komödie“:
Beatrices Lächeln ist für Dante eine allerletzte Möglichkeit, sich seiner Beziehung zu jener begehrten und geliebten Frau, die ihm Seelenbegleiterin auf seinem Weg durch die Sphären des Lebens und deren Wirklichkeiten war, bewusst zu werden. Dankbar erinnert er sich ihrer selbstlosen Bereitschaft, ihn entlang der konzentrischen Kreise der unermesslichen Rose des Paradiso zu führen, um seinen Weg - zu sich selbst wohl, zu seinem wahren Wesen - zu behüten. Doch nun, der Platz an seiner Seite ist plötzlich verlassen, taucht ein ehrwürdiger Greis auf und weist auf die - für ihn letztlich immer schon - Unerreichbare hin, die an der Grenze der allerhöchsten Rose, umgeben von einer Aureole, steht. Beatrice dreht sich vor ihrem letzten erlösenden Schritt ins göttliche Empyreum zu ihm um und schenkt ihm ihr Lächeln, bevor sie sich zur ewigen Quelle hin wendet und die raum-zeitliche Sphäre verlässt.
Dante bleibt zeitlebens ein Mann und Künstler, der aus der unerfüllten Sehnsucht nach der Angebeteten, seiner Muse, Inspiration für sein epochales Werk, seine Divina Commedia, erfährt. Für die europäische Literatur- und Geistesgeschichte ist die monumentale Vision der Göttlichen Komödie von höchster Bedeutung, hebt sie doch das Bild von Unerfülltheit und Vergeblichkeit in eine Dimension, in der schmerzhafte irdische Erfahrung in wertschätzende Dankbarkeit transformiert werden kann. Der Blick auf die ewige Quelle des Seins öffnet sich und erlöst irdisch-raumzeitliche Bedingtheit. Poi si tornò greift das Sestina-Thema formal als 6-teiliger Zyklus mit jeweils 21 Takten auf, um uns an jene mögliche Wende zur ewigen Quelle des Lebens hin zu erinnern.
„Es ist ein Weinen in der Welt“ (Else Lasker-Schüler)
Günter Mattitsch erinnert an seine intime Begegnung mit Else Lasker-Schüler im Jahr 2009 in der folgende Entstehungsgeschichte das΅Werkes:
Ich war schon in den Bannkreis meiner Zauberin geraten, bevor ich noch
wusste wo und wie und was. Es brauchte nur die lang erträumte
Sehnsuchtsstadt meiner Wünsche, Barcelona, und ein Zeitfenster im
Irgendwann meines Lebens. Das musste genügen. Darin finden sich Tag
für Tag 6 Museumsbesuche, für jedes der schon vorab ausgewählten
Gedichte einer, um ihrem Zauber gänzlich zu erliegen. In jedem Museum
bot sich mir ein Café an, um die innere Stille im Trubel dieser Stadt
zu finden, aus der meine Musik zu Form und Klang gerinnen konnte.
Meine Zauberin hielt ihre schützende Hand über meine Seelenbewegungen
und war mir freundlich gewogen. So konnte sich in meinem Leben ein
zauberischer Traum erfüllen.
Texte
Lacrimosa
Lacrimosa dies illa
Qua resurget ex favilla
Judicandus homo reus.
Huic ergo parce, Deus:
Pie Jesu Domine,
Dona eis requiem. Amen.
Tag der Tränen,
Da von der Asche wird erstehen
Zum Gericht der Mensch voll Sünden;
Schone ihn dann Gott:
Milder Jesus, Herr,
Schenk ihnen die ewige Ruhe. Amen.
Sicut cervus desiderat (42. Psalm)
Sicut cervus desiderat ad fontes aquarum, ita desiderat anima mea ad te Deus.
Sitivit anima mea ad Deum vivum.
Quando veniam et apparebo ante faciem Dei mei?
Wie der Hirsch lechzt nach frischem Wasser, so schreit meine Seele, Gott, zu dir.
Meine Seele dürstet nach Gott, nach dem lebendigen Gott.
Wann werde ich kommen und vor Gott erscheinen?
... und haben nicht einmal das Leben verdient (Aziz Nesin)
Und es ist der Gedanke an den Tod
der mich dazu antreibt weiter zu arbeiten
um eine bessere Welt zu schaffen
das Wichtigste ist nämlich zu sterben
nachdem man alles gegeben hat
was man geben kann
diejenigen die sterben
ohne ihr Möglichstes getan zu haben
haben nicht einmal das Leben verdient.
Litanei
Selig sind, die da geistlich arm sind;
denn ihrer ist das Himmelreich.
Selig sind, die da Leid tragen;
denn sie sollen getröstet werden.
Selig sind die Sanftmütigen;
denn sie werden das Erdreich besitzen.
Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit;
denn sie sollen satt werden.
Selig sind die Barmherzigen;
denn sie werden Barmherzigkeit erlangen.
Selig sind, die reinen Herzens sind;
denn sie werden Gott schauen.
Selig sind die Friedfertigen;
denn sie werden Gottes Kinder heißen.
Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden;
denn ihrer ist das Himmelreich. (Seligpreisungen, Mt. 5/3-10)
Poi si tornò (Dante Alighieri)
O donna in cui la mia speranza vige,
e che soffristi per la mia salute
in inferno lasciar le tue vestige...(Paradiso XXXI, 79-81)
Cosi orai; ed elle, si lontana
come parea, sorrise e riguardommi;
poi si tornò all' eterna fontana. (Paradiso XXXI, 91-93)
O Frau, auf der meine Hoffnung ruht,
und du, die du um mein Heil gelitten hast,
dass du deine Spuren in der Hölle hinterließest...
So betete ich; und sie, so fern
wie sie schien, lächelte und sah mich an;
dann wandte sie sich wieder der ewigen Quelle zu.
Es ist ein Weinen in der Welt
Drei Erinnerungen an Else Lasker-Schüler
I. sternensilber
Ich träume so leise von dir (aus: Hans Adalbert von Maltzahn)
Immer kommen am Morgen schmerzliche Farben,
Die sind wie deine Seele.
O, ich muß an dich denken,
Und überall blühen so traurige Augen.
Und ich habe dir von großen Sternen erzählt,
Aber du hast zur Erde gesehn.
Nächte wachsen aus meinem Kopf,
Ich weiß nicht wo ich hin soll.
Ich träume so leise von dir,
Weiß hängt die Seide schon über meinen Augen.
Warum hast du nicht um mich
Die Erde gelassen – sage?
Abends (aus: An ihn)
Auf einmal mußte ich singen –
Und ich wußte nicht warum?
- Doch abends weinte ich bitterlich.
Es stieg aus allen Dingen
Ein Schmerz, und der ging um
- Und legte sich auf mich.
II. goldverloren
Versöhnung (aus: Meine Wunder)
Es wird ein großer Stern in meinen Schoß fallen...
Wir wollen wachen die Nacht,
In den Sprachen beten,
Die wie Harfen eingeschnitten sind.
Wir wollen uns versöhnen die Nacht –
So viel Gott strömt über.
Kinder sind unsere Herzen,
Die möchten ruhen müdesüß.
Und unsere Lippen wollen sich küssen,
Was zagst du?
Grenzt nicht mein Herz an deins –
Immer färbt dein Blut meine Wangen rot.
Wir wollen uns versöhnen die Nacht,
Wenn wir uns herzen, sterben wir nicht.
Es wird ein großer Stern in meinen Schoß fallen.
Aus der Ferne (aus: Konzert)
Die Welt, aus der ich lange mich entwand,
Ruht kahl, von Glut entlaubt, in dunkler Hand;
Die Heimat fremd, die ich mit Liebe überhäufte,
Aus der ich lebend in die Himmel reifte.
Es wachsen auch die Seelen der verpflanzten Bäume
Auf Erden schon in Gottes blaue Räume,
Um inniger von Seiner Herrlichkeit zu träumen.
Der große Mond und seine Lieblingssterne,
Spielen mit den bunten Muschelschäumen
Und hüten über Meere Gottes Geist so gerne.
So fern hab ich mir nie die Ewigkeit gedacht...
Es weinen über unsere Welt die Engel in der Nacht.
Sie läuterten mein Herz, die Fluren zu versüßen,
Und ließen euch in meinen Versen grüßen.
III. blauend
Es ist ein Weinen in der Welt (aus: Der siebente Tag)
Es ist ein Weinen in der Welt,
Als ob der liebe Gott gestorben wäre,
Und der bleierne Schatten, der niederfällt,
Lastet grabesschwer.
Komm, wir wollen uns näher verbergen...
Das Leben liegt in aller Herzen
Wie in Särgen.
Du! Wir wollen uns tief küssen –
Es pocht eine Sehnsucht an die Welt,
An der wir sterben müssen.